Sternstunden – in jeder Sportart und in jedem Verein gibt es sie. Es handelt sich oft um sensationelle Siege, große Aufstiege, aufopferungsvolle Wettkämpfe, heroische Einzelleistungen – mitunter sind es auch Duelle gegen übermächtige Gegner, die nicht mit einem sportlichen Erfolg enden, aber aufgrund der besonderen Umstände im Gedächtnis bleiben. In einer kleinen Serie erinnern sich ehemalige und aktive Sportler aus der Region an ihre persönliche Sternstunde.

Von Manuel Weis

Mauerstetten So ein Empfang hatte sich keiner träumen lassen. Abgeholt von drei Cabrios, einem Feuerwehrauto hinterherfahrend, ging es zum Mauerstettener Kirchplatz: Die Gemeinde wurde dem „Volleyball-Wunder" 1993 wahrlich gerecht. „Es waren so viele Menschen da, das Radio hat berichtet, die Menschen schwenkten Fahnen und hielten Plakate in die Höhe", erinnert sich die heute 39-jährige Kathrin Schulz, die damals zwölf war.

Schulz hatte mit der E-Jugend des SV Mauerstetten die Deutsche Meisterschaft im ostfriesischen Hinte gewonnen. Ein unvergesslicher Trip, der in die Pfingstferien jenes Jahres fiel. „Für alle war es die erste Deutsche Meisterschaft", erinnert sich Schulz noch an die Abfahrt damals aus dem beschaulichen Mauerstetten. Mit einer Chance auf den ersten Platz habe niemand gerechnet. „Das war ganz weit weg. Als wir losfuhren, war es eher spannend, dass es eine so weite Reise wird", berichtet Schulz.

Beim Bundesspielfest angekommen – so hieß die Meisterschaft damals – starteten die Mauerstettener Mädels mit einem Patzer. Getestet wurden allgemeine Fähigkeiten – und in diesem Wettbewerb wurde der SVM nur 15. Doch Nervosität machte sich bei den Allgäuern nicht bereit. Stattdessen steigerten sich die Mauerstettener gewaltig. Für Selbstvertrauen sorgten Siege gegen Rotenburg (Hessen) sowie den Favoriten aus Berlin, dazu kam ein Remis gegen das rheinland-pfälzische Team aus Wengerohr.

Die beiden Erstplatzierten, zu denen Mauerstetten gehörte, wurden in neue Fünfergruppen eingeteilt – und mussten fortan die Spiele mit einem 0:3-Punkterückstand starten. Ungeschlagen überstanden die Allgäuer aber auch diese Partien und sahen sich schließlich im Finale erneut den Mädchen aus Berlin gegenüber. „Riesengroß, optisch alles perfekt: einheitliche Strümpfe, Schoner, Hosen", erinnert sich Schulz heute an die Hauptstädter. „Und dann kamen wir, wir vom Dorf", sagt sie. „Wie die Orgelpfeifen standen wir da, kunterbunt, jeder anders mit aufgenähten Flicken auf den Schonern", berichtet die 39-Jährige schmunzelnd.

Geschadet hat das nicht – im Gegenteil. Trotz eines verlorenen ersten Satzes blieben sie tapfer und gewannen den zweiten Satz knapp mit 15:13. Nach dem 15:11-Satzgewinn im Tiebreak lagen sich die Spielerinnen, das Trainerteam Karin und Berthold Marx sowie die mitgereisten Eltern und Fans weinend in den Armen – das Unvorstellbare war geschehen. „Hochgradige Spannung, originelle Ballwechsel, taktische Cleverness und technische Eleganz sorgten für ein Bilderbuch-Finale, in dem am Ende die überglücklichen Bayern siegreich waren", schrieb die örtliche Emdener Zeitung wenige Tage später. Bei der Siegerehrung erhielt Mauerstetten nicht nur den Meisterpokal, sondern auch eine Auszeichnung für die weiteste Anreise, waren sie doch um die 900 Kilometer unterwegs. Umrahmt wurde der Ausflug in den Norden noch mit einer Wattwanderung von der Insel Baltrum zurück zum Festland und einer Schifffahrt nach Helgoland.

Das Highlight sei aber natürlich der Gewinn der Meisterschaft gewesen. „Natürlich ist dadurch die Liebe zum Volleyball noch stärker geworden", sagt Schulz. Welch Erfolg das war und was es genau bedeutete, von Bürgermeister Alexander Müller, SVM-Vorstand Wolfgang Rein, dem BLSV-Präsidenten Hubert Müller sowie der Blasmusik am Kirchplatz empfangen zu werden, das habe sie selbst erst viele Jahre später realisiert. „Damals fanden wir es eher lustig, dass da die Nationalhymne für uns lief", erinnert sie sich zurück. „Wir haben uns aber wahnsinnig gefreut – das war einfach spektakulär."

Diese Woche in den Pfingstferien 1993 gilt als Ursprung des Volleyball-Booms der nachfolgenden Jahre. In der Hoffnung, es dieser Gruppe von Zwölfjährigen gleich zu tun, kamen Kinder aus der kompletten Umgebung nach Mauerstetten. Alle Siegerinnen von damals blieben dem SVM noch über viele Jahre treu – am längsten Kathrin Schulz, die erst vor einem Jahr aufhörte. Als Mama dreier kleiner Kinder sei der Sport nicht mehr unter einen Hut zu bekommen gewesen.

Was bleibt, sind die Erinnerungen an die Deutsche Meisterschaft 1993 – es sollte in der Karriere von Schulz übrigens der einzige deutsche Meistertitel bleiben. In ihrer weiteren sportlichen Laufbahn nahm sie noch an vier weiteren Deutschen Meisterschaften teil; ein weiterer erster Platz aber blieb ihr verwehrt. Dem SV Mauerstetten gelang die Sensation derweil noch ein weiteres Mal: 2015 sicherten sich die U 14-Juniorinnen in Straubing eine Deutsche Meisterschaft.

Eine Sternstunde erlebte der SV Mauerstetten mit dem Gewinn der deutschen E-Jugendmeisterschaft in Ostfriesland (oben). Ein weiteres Highlight gab es für die Volleyball-Talente bei der Rückkehr, inklusive Empfang und Autokorso durch Mauerstetten. Fotos: SV Mauerstetten

Kathrin Schulz feierte gleich zu Beginn ihrer Volleyball-Karriere die deutsche Meisterschaft mit den E-Juniorinnen des SV Mauerstetten.